„Völlig inakzeptabel“: Experte kritisiert Geheimdienst-Arbeit bei AfD-Gutachten

  • Im Video: Verfassungsschutz setzt AfD-Neubewertung als "gesichert rechtsextrem" vorerst aus

Mehr als tausend Seiten soll das bisher geheim gehaltene Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) zur AfD umfassen. Es hat dazu geführt, dass der Verfassungsschutz der größten Oppositionspartei „gesichert rechtsextremistische Bestrebungen“ bescheinigt. Nun kommt Bewegung in den Fall: In einem laufenden Eilverfahren hat das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. 

Bis zur gerichtlichen Entscheidung will die Behörde die AfD nicht mehr öffentlich als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ bezeichnen. Eine Sprecherin des Gerichts bestätigte den Eingang eines entsprechenden Schreibens. Das BfV erklärte, man äußere sich in der Sache derzeit nicht öffentlich – „mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht“.

Die inzwischen abgetretene Innenministerin Nancy Faeser, deren Haus der Inlandsgeheimdienst untersteht, hatte an ihrem letzten Arbeitstag als Ministerin eine entsprechende Pressemitteilung des Verfassungsschutzes veröffentlichen lassen.

Die Initiative „Frag den Staat“ hat nach eigener Auskunft jetzt 17 Seiten eingesehen. Auch „Der Spiegel“ konnte Teile des BfV-Dokuments sichten. Bisheriges Ergebnis der Recherche: Im Wesentlichen stützt sich das BfV in seiner Analyse auf das Untergraben der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde, etwa durch rassistische und ausländerfeindliche Einstellungen in der AfD.

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Verfassungsschutz im AfD-Gutachten: „Eine Mäßigung ist nicht in Sicht“

So halte der Verfassungsschutz, den „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ der AfD nicht mit Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbar, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Das BfV spricht von „fortlaufender Agitation“ gegen Migranten, Geflüchtete und Muslime durch Funktionäre der Partei. Die AfD, so schreibt es der Inlandsgeheimdienst, stelle Migranten als „bedrohliches Kollektiv“ dar und dichte ganzen Gruppen wegen ihrer Herkunft eine „erhöhte Gewaltneigung“ an. 

Der Verfassungsschutz belege auf rund 400 Seiten völkische, rassistische, minderheitenfeindliche und antimuslimische Äußerungen von Parteifunktionären. Die Einschätzung der Behörde laut „Spiegel“: „Eine Mäßigung ist nicht in Sicht.“

Die Behörde habe außerdem einen „starken Verdacht“, dass die AfD sich auch gegen das „Demokratieprinzip“ richte. Ihre Funktionäre diffamierten „fortwährend pauschal“ Vertreter anderer Parteien und machten diese etwa als „Gemeinschaft von Politgangstern“ oder als „Volksverräter“ verächtlich.

AfD klagt gegen Einstufung und fordert Gegendarstellung

Die AfD will das nicht auf sich sitzen lassen und hat inzwischen Klage gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz eingereicht. Die Partei sieht darin einen schweren, rechtswidrigen Eingriff in die demokratische Willensbildung. 

Vertreten durch ihre Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla fordert die AfD nicht nur die Unterlassung der Beobachtung und der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung, sondern auch eine Gegendarstellung: Das BfV solle erklären, dass die Einstufung rechtswidrig war. Für jeden weiteren Verstoß gegen diese Forderung solle ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000 Euro verhängt werden können. 

Die Klage, geführt von der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei Höcker, argumentiert, die AfD befürworte keine Gewalt und zeige keine „aktiv-kämpferische Haltung“ – ein verfassungsrechtlich notwendiges Kriterium für die Überwachung durch den Verfassungsschutz. In bisherigen Gerichtsverfahren gegen die Bewertung als Verdachtsfall war die Partei bereits in zwei Instanzen gescheitert.

Verfassungsrechtler kritisieren Vorgehen des Verfassungsschutzes

Verfassungsrechtler kritisieren überwiegend das Vorgehen des Geheimdienstes. Der konservative Staatsrechtler Dietrich Murswiek kritisiert die Einstufung der AfD als gesicherte rechtsextremistische Bewegung durch den deutschen Verfassungsschutz. Dieser habe bisher keine überzeugenden Beweise für seine Entscheidung vorgelegt, sagte er in mehreren Interviews.

Es scheine so zu sein, dass in dem Gutachten eine Vielzahl weiterer Äußerungen zusammengetragen worden seien, „die ebenso wie fast alle der bisher als Anhaltspunkte für eine extremistische Ausrichtung der AfD verwendeten Äußerungen nicht geeignet sind, den Vorwurf zu belegen, die AfD wolle die Menschenwürdegarantie beseitigen“. Die Verwendung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs sei nicht verfassungsfeindlich und verletze insbesondere nicht die Menschenwürde. 

Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg nannte es „fast ein Skandal“, dass das Gutachten des Verfassungsschutzes nicht allgemein veröffentlicht wird.

Der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner bezeichnete die bisherige Geheimhaltung des Gutachtens bei gleichzeitiger Veröffentlichung von Teilergebnissen in einer Pressemitteilung – und jetzt in einzelnen Medien – als „No Go“. Dass der Verfassungsschutz als staatliche Behörde in den Wettbewerb der politischen Parteien eingreife und dabei eine Partei schädige, sei aus seiner Sicht „verfassungswidrig“. 

„Das ist in einer Demokratie völlig inakzeptabel“

Denn das Grundgesetz wolle einen freien Wettbewerb der Ideen und der Parteien, sagt der Jurist. Und: „Dass das Gutachten nicht veröffentlicht wird, halte ich für skandalös. In der rechtsstaatlichen Demokratie sind staatliche Behörden grundsätzlich der Transparenz verpflichtet.“ 

Der Geheimdienst stelle eine weitreichende Behauptung auf, Bürger und Öffentlichkeit könnten aber gar nicht nachprüfen, ob die Belege die Behauptung stützen. Der Verfassungsschutz mische sich so in die Politik ein und die Bürger sollten ihm „vertrauensvoll glauben“. 

Boehme-Neßler sagt: „Das ist in einer Demokratie völlig inakzeptabel.“ Informationen, die geheim gehalten werden müssten, könnten vor der Veröffentlichung geschwärzt werden. „Dass das ganze Gutachten geheim gehalten wird, kann man damit nicht rechtfertigen.“

Ähnlich urteilt der Augsburger Rechtsprofessor Josef Franz Lindner: Das Bundesamt für Verfassungsschutz entscheide zwar grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es die Begründung für eine Einstufung veröffentlicht, sagte Lindner unserer Redaktion. Aber: Sei wie im Fall der AfD eine Partei betroffen, die im aktuellen politischen Wettbewerb stehe und die größte Oppositionsfraktion im Bundestag bilde, führe insbesondere der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der Parteien dazu, „dass sich das Publikationsermessen zu einer Veröffentlichungspflicht verdichtet“. 

Informanten, Arbeits- und Ermittlungsmethoden könnten geschwärzt werden

Schutzwürdige Interessen von Dritten, etwa von Informanten, und des Verfassungsschutzes selbst, etwa die Geheimhaltung von Arbeits- und Ermittlungsmethoden, könnten durch Anonymisierungen, Schwärzungen oder Auslassungen berücksichtigt werden.

Tatsächlich wird die brisante Einstufung den Parteienwettbewerb nicht wirklich einschränken. Ein Verbot der AfD halten führende Politiker bisher für aussichtslos. Und in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo die Landesverfassungsschutzämter die AfD bereits seit Längerem als gesichert rechtsextremistisch einstufen, hat die Partei bei Wahlen zuletzt Rekordergebnisse eingefahren. 

Der Göttinger Staatrechtler Florian Meinel sagt dazu in einem Interview: Der Effekt der Warnungen des Verfassungsschutzes sei „mittlerweile nicht mehr besonders groß. Es scheint nicht so zu sein, dass sehr viele Leute davor zurückschrecken, die AfD zu wählen, weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet oder eingestuft wird. Der Igitt-Effekt dieser Maßnahmen scheint verpufft zu sein.“ 

Artikel verfasst von Business Punk.

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