Erste Details aus Gutachten: Darum wurde AfD als rechtsextremistisch eingestuft
Nicht mal eine Woche nach der Hochstufung von "rechtsextremer Verdachtsfall" auf "gesichert rechtsextremistisch" setzt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) diese Neubewertung vorerst aus. Das Amt gab eine Stillhaltezusage gegenüber der AfD ab, die neue Einstufung nicht mehr zu verwenden, bis das Gericht über die Klage der AfD entschieden habe. Die Partei gilt damit nun einstweilen wieder lediglich als "rechtsextremer Verdachtsfall".
Inzwischen haben jedoch erste Medien Auszüge aus dem insgesamt 1108 Seiten umfassenden Gutachten veröffentlicht. Der "Spiegel" berichtet, das gesamte Gutachten ausgewertet zu haben. Die Online-Plattform "Frag den Staat" hat einen 17 Seiten umfassenden Ausschnitt aus dem Konvolut publiziert. Unklar ist jedoch, wie repräsentativ diese Passagen für das Gesamtgutachten sind.
Verschwörungstheorien zum NS-Narrativ der "Umvolkung"
Die Onlineplattform zitiert als "erste" Belege "besonders relevante Aussagen des Bundesverbands bzw. AfD-Bundesvorstands", die diese öffentlich in der Zeit von 2022 bis 2024 gemacht hätten. Genannt werden 37 Belege, die "öffentlich nachvollziehbar" seien.
In einem Abschnitt mit der Überschrift "Ethnisch-abstammungsmäßige Aussagen und Positionen" werden zum Beispiel Aussagen hochrangiger AfD-Funktionäre zitiert, die sich mit der rechten Verschwörungserzählung einer angeblich stattfindender "Umvolkung" beschäftigten. Hinter dem NS-Begriff verbirgt sich ein Narrativ mit rassenbiologischen Denkmustern.
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So habe der AfD-Bundesvorstand im Oktober 2023 einen Tweet des umstrittenen damaligen AfD-Bundesvorstandsmitgliedes und Mitglieds des EU-Parlaments Maximilian Krah zu einer Aussage der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt geteilt: "12 Millionen will sie ins Land holen. Und ja: Dieser grüne Generalplan bedeutet Umvolkung! Zudem gibt sie zu, dass es nicht um Asyl, sondern Bevölkerungspolitik geht."
AfD-Bundesvorstand Hannes Gnauck wird zitiert mit einem Satz, den er bei einer Kundgebung zu einem Asylbewerberheim am 17. April 2023 in Prenzlau machte: "Die Altparteienregierungen von Bund, Land betreiben hier einen Bevölkerungsaustausch und sie werden nicht ruhen, bis jeder Winkel unseres Landes, jedes friedliche Dorf mit illegalen Migranten vollgestopft ist."
"Höllensommer" mit "Messerattacken": Fremdenfeindliche Äußerungen der AfD auf X
Unter der Überschrift "Fremdenfeindlichkeit" listet der Verfassungsschutz auch Äußerungen aus dem AfD-Bundesvorstand auf "X" auf. Im September 2024 sei dort von einem "migrationsinduzierten 'Höllensommer'" die Rede gewesen: "Der 'Höllensommer', den wir derzeit in Deutschland erleben, hat nichts mit dem Klima zu tun. Freibäder sind zu Angsträumen geworden, Messerattacken an der Tagesordnung, während die etablierten Parteien wegschauen."
Erwähnt wird ebenso ein Facebook-Eintrag des AfD-Bundesvorstands vom 8. Juni 2023, bei dem eine "Karte des Schreckens" zeigen sollte, wie "überfremdet" Deutschland bereits sei. In dem dazugehörigen Text, so der Verfassungsschutz, unterstellte die AfD den Regierungsparteien "Abschaffungspläne" in Bezug auf das deutsche Volk, das "schleichend zur Minderheit" werde: "(...) Die Folgen einer Massenmigration für die Sicherheitslage, für den Sozialstaat und für unsere kulturelle Identität und Heimat wären eine unvorstellbare Katastrophe. (...) Die etablierten Parteien - und zwar nicht nur die Ampel, sondern auch die CDU - wollen ein anderes Deutschland, in welchem unsere Kultur und Identität keine Rolle mehr spielt (...)."
"Halb Afrika darf sich unser Land als Beute nehmen"
Ein Facebook-Eintrag des AfD-Bundesvorstandes vom 2. August 2023 über die CDU, die damals im Bund Oppositionspartei war, wird ebenfalls als fremdenfeindlich gewertet: "Während die CDU unser Land weiterhin mit Kriminellen und Wirtschaftsflüchtlingen flutet, vertuscht sie ihre Verantwortung mit Ablenkungsmanövern. (...) Der Trend ist klar: Einerseits sollen wir in unseren Freizeit-Einrichtungen immer stärker überwacht werden und wie in einem Hochsicherheitstrakt leben. Andererseits darf halb Afrika widerstandslos über die deutsche Grenze spazieren und sich unser Land als Beute nehmen."
Dennis Holoch, Landtagsabgeordneter in Brandenburg und Bundesschriftführer der AfD, wird in der Kategorie "Fremdenfeindlichkeit" mit einer Warnung vor einem zu angeblich zu großen Migrantenanteil zitiert. Er habe am 25. August 2024 bei einer Veranstaltung in Brandenburg folgendes "Bedrohungsszenario" aufgestellt: "Vielfalt bedeutet (...) Multikulti und was bedeutet Multikulti? Multikulti bedeutet Traditionsverlust, Identitätsverlust, Verlust von Heimat, Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigungen."
Erwähnt wird ein weiteres Zitat von Hannes Gnauck, das der AfD-Bundesvorstand am 23. September 2023 auf "X" machte: "Ich bin strikt gegen eine Obergrenze beim Thema #Migration. Jeder Fremde mehr in diesem Land ist einer zu viel. Wir brauchen eine stringente #Remigration von denen, die hier sind."
AfD-Politiker verspricht einen "Krieg gegen diese Regierung"
Der "Spiegel" zitiert als eines der Beispiele aus dem Gutachten, die den rechtsextremistischen Charakter der Partei untermauern soll, AfD-Bundeschefin Alice Weidel. Bei einem Wahlkampfauftritt im brandenburgischen Werder Mitte September habe sie behauptet, auf den deutschen Straßen würde ein "Dschihad" geführt, "ein Glaubenskrieg gegen die deutsche Bevölkerung". Sie habe von "Herumgemessere" geredet und Vergewaltigungen, die "völlig neu in unserem Land" seien.
Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, wird mit einer grotesken Behauptung aus dem Jahr 2023 erwähnt, die Bundesregierung habe "dem eigenen Volk den Krieg erklärt". Auf einer Demo habe Tillschneider erklärt: "Wenn wir eine Regierung haben, die uns in den Krieg führt, dann führen wir Krieg gegen diese Regierung. Wir sind gekommen, diese Gestalten aus ihren Sesseln zu vertreiben."
Gutachten attestiert AfD Verfassungsfeindlichkeit
Zu der Veröffentlichung des Gutachtens hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kurz vor dem Amtsantritt ihres designierten Nachfolgers Alexander Dobrindt (CSU) entschieden, weswegen sie auf eine genaue Prüfung des umfangreichen Gutachtens durch Ministerialbeamte der Abteilung Öffentliche Sicherheit verzichten musste. Doch in dem Papier, so der "Spiegel", attestiere der Inlandsnachrichtendienst der AfD, dass sich deren "verfassungsfeindliche Ausrichtung" inzwischen "zur Gewissheit verdichtet" habe.
Das BfV habe belastende Äußerungen von insgesamt 353 AfD-Mitgliedern zusammengetragen - von der Kreisebene bis hoch zu den Parteivorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel. Der "oberen Führungsstruktur" werde eine "verfestigte fremdenfeindliche Haltung" attestiert.
Konkret genannt wird etwa der AfD-Europaparteitag 2023 in Magdeburg, wo "zahlreiche Funktionäre" mit "migrationsfeindlicher Agitation" aufgefallen seien. Bei den Landtagswahlen im vorigen Jahre sowie der Bundestagswahl vor knapp zwei Monaten habe sich dieser radikale Kurs fortgesetzt. "Eine Mäßigung ist nicht ersichtlich", wird der Inlandsnachrichtendienst zitiert.
AfD-Slogans "verunglimpfen und entmenschlichen Muslime"
Auf rund 400 Seiten belege der Verfassungsschutz allein völkische, rassistische, minderheitenfeindliche und antimuslimische Äußerungen von AfD-Funktionären. Fabian Küble, einst Vorstandsmitglied der inzwischen aufgelösten AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", habe etwa über die SPD-Politikerin Aydan Özoguz geschrieben: "Im Gegensatz zu ihr sind Österreicher immer deutsch und müssen sich nicht einmal assimilieren." Damit, schlussfolgere das BfV, bringe Küble "sein ethnisches Volksverständnis" zum Ausdruck.
In der AfD sei eine "fortlaufende Agitation" gegen Migranten feststellbar, heißt es weiter. So seien in NRW Sticker der "Jungen Alternative" aufgetaucht, die Muslime als "invasive Arten" verunglimpften und "entmenschlichen", indem sie sie als Waschbären mit einem Turban und geschultertem Gewehr abbilde. Migranten würden als "bedrohliches Kollektiv" dargestellt, ganzen Gruppen würde aufgrund der Herkunft eine "erhöhte Gewaltneigung" angedichtet.
Verschwörungsmythos "zentraler" Bestandteil der AfD-Politik
Ein rechtsextremer Verschwörungsmythos wie eine "Umvolkung" zählt nach Einschätzung des Verfassungsschutzes inzwischen zu einem "zentralen Bestandteil" der AfD-Politik. So werde eine "Remigration" inzwischen selbst von Alice Weidel offen verwendet. Das sei insofern relevant, da eine "millionenfache Remigration", wie sie AfD-Politiker immer wieder forderten, die Zahl ausreisepflichtiger Ausländer "um ein Vielfaches" übersteige.
Darüber hinaus äußere der Verfassungsschutz in dem Gutachten auch den "starken Verdacht", dass die AfD sich gegen das "Demokratieprinzip" im Grundgesetz richte. So diffamierten ihre Funktionäre "fortwährend pauschal" Politiker anderer Parteien als "Politgangster" oder "Volksverräter" verächtlich. Einmal mehr wird der sachsen-anhaltische AfD-Landtagsabgeordneten Tillschneider zitiert, der CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke als "Helfershelfer der Deutschlandplünderer" bezeichnete. Die AfD, so Tillschneiders groteske Bemerkung, sei heute das, "was 1944 ein Stauffenberg war", die "einzige relevante politische Kraft, die noch Widerstand leistet".
Verfassungsschutz will Entscheidung des Gerichts zu AfD-Klage abwarten
Wie lange die Stillhaltezusage Bestand hat, dürfte nun von dem Gericht abhängen, das sich mit der der Klage der AfD beschäftigt. Auch bei der Einstufung der AfD als "rechtsextremer Verdachtsfall" hatte der Verfassungsschutz im Jahr 2021 nach einer Klage der AfD eine Stillhaltezusage abgegeben. Die damalige Klage blieb für die Partei in zwei Instanzen erfolglos.