Job-Absage für deutschen Pfleger: Klinik will lieber „internationale Fachkräfte“
Alarm im deutschen Gesundheitswesen: Bis zum Jahr 2049, so schätzen Experten, werden voraussichtlich bis zu 690.000 Pflegekräfte fehlen. Für den schon heute bestehenden Personalmangel in Krankenhäusern und Heimen hat sich ein Begriff eingebürgert, der an eine Katastrophe großen Ausmaßes erinnert: „Pflegenotstand“.
Überall ist zu lesen, Deutschland brauche mehr qualifizierte Pflegekräfte. In Kliniken zwischen Bodensee und Flensburg sind Tausende Stellen unbesetzt. Im Umkehrschluss könnte man meinen: Wer derzeit einen Pflege-Job sucht, dürfte fast überall mit Kusshand genommen werden.
Kranke Kliniken: Personalmangel führt zu „Pflegenotstand“
Das dachte sich auch Torben Skaler* aus Dortmund. Der 39-Jährige, schmales Gesicht, dunkelbraune Haare, sympathisches Lachen, kennt sich in der Branche bestens aus. Als ausgebildeter Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege arbeitet er seit vielen Jahren in verschiedenen Kliniken vorwiegend in Nordrhein-Westfalen.
Die zeitlich begrenzten Jobs bekommt er über eine Zeitarbeitsfirma. Monatlicher Verdienst bei einer 38,5-Stunden-Woche: zwischen 6500 und 7000 Euro brutto.
Serie: "So geht es Deutschland wirklich"
Viele Menschen klagen, die Politik gehe an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei. Doch was wünschen sie sich? Wie geht es ihnen? FOCUS-online-Reporter reisen durch Deutschland und fangen die Stimmung ein – für eine Serie mit 101 Folgen.
„Die Arbeit ist anstrengend, aber lukrativ“, sagt der Familienvater (verheiratet, zwei Kinder) zu FOCUS online. „Die Bezahlung ist viel besser als bei Festangestellten.“ An seinem Arbeitsmodell schätzt er vor allem die hohe Flexibilität, die persönliche Freiheit. „Ich bleibe selbstbestimmt und habe sehr vielseitige, spannende Aufgaben.“
Mehr aus dem Bereich Gesundheit
Meistgelesene Artikel der Woche
Fachkrankenpfleger möchte am Klinikum Dortmund arbeiten
Mitte März 2025 wollte sich Torben Skaler auf eine Stelle im Klinikum Dortmund bewerben, wo er vor einigen Jahren bereits in Festanstellung gearbeitet hatte. Die Einrichtung ist zu 100 Prozent in kommunaler Trägerschaft und mit fast 5000 Beschäftigten eines der größten Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen. Der Jahresumsatz liegt bei 480 Millionen Euro.
Fachkrankenpfleger Torben Skaler interessierte sich für einen Job im sogenannten Intensivpool. Die dort arbeitenden Pfleger unterstützen die Teams in verschiedenen Intensivbereichen des Klinikums, etwa bei kurzfristigen Personalausfällen oder erhöhtem Bedarf.
Am 17. März schrieb Torben Skaler eine E-Mail an den Pflegedienstleiter, der auch für die Pools in den Dortmunder Klinikzentren Mitte und Nord zuständig ist. Die beiden kennen sich aus einer gemeinsamen Zeit am Klinikum, deshalb ist der Ton vertraut (FOCUS online liegt der gesamte Schriftwechsel vor), man spricht sich mit Vornamen an.
„Ich habe Interesse, im Klinikum im Intensivpool zu arbeiten und wollte einmal fragen, ob du noch eine Stelle dort frei hast. Auf der Homepage vom Klinikum habe ich nichts gesehen.“
Absage per Mail: Klinikum will "internationale Fachkräfte"
Noch am selben Tag schrieb der Pflegedienstleiter dem ehemaligen Kollegen zurück – und erteilte ihm eine Absage:
„In der Tat sind aktuell alle Stellenausschreibungen für externe Neueinstellungen auf ein Minimum reduziert worden, da wir unsere aktuell noch freien Stellen über internationale Fachkräfte bzw. Azubis nachbesetzen wollen.“
Torben Skaler bedankte sich in einer weiteren Mail für die Auskunft und erkundigte sich vorsichtig:
„Eine Bewerbung abzugeben, würde trotzdem Sinn machen oder eher nicht?
Daraufhin der Pflegedienstleiter:
„Tatsächlich kann und darf ich keine weiteren Initiativbewerbungen für den Intensivpool aktuell aufnehmen.“
Pfleger Torben Skaler: „Fühlte mich ausgegrenzt“
Die Absage war so eindeutig wie unmissverständlich. Bei Torben Skaler kam die Botschaft an: Das Klinikum Dortmund stellt aktuell keinen qualifizierten, erfahrenen, zuverlässigen Fachkrankenpfleger aus Deutschland in sein Pool-Team ein. Zum Zuge kommen stattdessen vor allem „internationale Fachkräfte“.
Die Entscheidung des Klinikums löste bei Torben Skaler, gelinde gesagt, Verwunderung aus. „Ich habe mich richtig geärgert“, sagt der Pfleger im Gespräch mit FOCUS online. „Ich fühlte mich wertlos und ausgegrenzt.“ Er habe die Absage als Signal gedeutet, dass er als Fachkrankenpfleger „zu teuer“ ist. Beim Klinikum Dortmund gelte offensichtlich der Grundsatz „Quantität vor Qualität“.
FOCUS online hakte beim Klinikum Dortmund nach. Der Pflegedienstleiter, der Torben Skaler die Job-Absage per Mail mitgeteilt hatte, sollte die Hintergründe des Vorgehens erläutern. Wir wollten wissen:
- Aus welchem Grund lehnt Ihr Klinikum die Einstellung eines fertig ausgebildeten, erfahrenen, zuverlässigen Fachkrankenpflegers aus Deutschland ab (der bei Ihnen zuvor schon fest angestellt war) und bevorzugt stattdessen Fachkräfte aus dem Ausland?
- Wer bzw. welches Gremium hat diese strategische Entscheidung wann getroffen?
- Welche Rolle spielen bei dieser Klinik-Entscheidung finanzielle Gründe?
- Werden internationale Fachkräfte, die bei Ihnen u.a. im Intensivpool arbeiten, staatlich gefördert und verringern sich dadurch die Kosten für das Klinikum?
- Außenstehende sehen in der von Ihnen ausgeübten Praxis eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern bzw. Diskriminierung. Was sagen Sie dazu?
Klinikum Dortmund reagiert auf FOCUS-online-Anfrage
Ein Sprecher des Unternehmens teilte FOCUS online mit, über die „personelle Einzelfallentscheidung“ in Bezug auf Torben Skaler „dürfen und werden wir uns als Klinikum nicht weiter äußern“.
Allgemein stellte er fest: „Die Auswahl von neuen Mitarbeitenden erfolgt in unserem Hause stets auf Grundlage eines transparenten und strukturierten Auswahlverfahrens, in dem fachliche Qualifikation, persönliche Eignung sowie die Integrierbarkeit in bestehende Teams berücksichtigt werden.“
Die Strategie zur Fachkräftegewinnung am Klinikum sei „mehrgleisig“, so der Sprecher weiter.
Zunächst würde man Arbeitskräfte „am heimischen Fachkräftemarkt und aus der näheren Umgebung“ suchen. Zusätzlich bilde man „einen nicht unerheblichen Teil“ des Personals selbst aus. Da dies nicht ausreiche, „stellen wir am Klinikum Dortmund ebenfalls internationale Fachkräfte ein“, wobei eine Gewichtung von Einstellungen zugunsten internationaler Fachkräfte „nicht erfolgt“.
Die Absage-Mail des Pflegedienstleiters an Torben Skaler lässt sich jedoch etwas anders deuten. Das sieht nicht nur der Betroffene so.
Ausländische Arbeitskräfte in der Pflege immer wichtiger
Fakt ist: Ausländische Arbeitskräfte werden in der Pflege immer wichtiger. Das zeigt eine im Oktober 2024 veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach kommt mittlerweile jede sechste Pflegekraft aus dem Ausland. Hauptherkunftsstaaten: Polen, Kroatien, Rumänien, Türkei, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Philippinen, Indien, Tunesien, Vietnam.
„Ausländische Pflegekräfte federn den demografisch bedingten Rückgang der deutschen Beschäftigten damit maßgeblich ab“, so das IAB. Laut der Untersuchung wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege seit 2022 ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen, die Zahl deutscher Pflegekräfte ist hingegen rückläufig.
Die IAB-Forscher mahnen an, dass sich deutsche Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen intensiv um ausländische Pflegekräfte bemühen müssen, da der Konkurrenzdruck weltweit groß sei.
„Neben erleichterten Zuwanderungsregeln für Arbeitskräfte wird es auch um eine zügigere berufliche Anerkennung und höhere Wertschätzung der mitgebrachten Qualifikationen und Kompetenzen der Pflegekräfte aus dem Ausland gehen. Generell brauchen wir eine verbesserte Willkommenskultur, um neue Beschäftigte auch langfristig in Deutschland halten zu können“, so die IAB-Forscher.
"Das Risiko ist zu groß" - Betroffener will anonym bleiben
Im Bemühen um ausländische Arbeitskräfte haben deutsche Fachpfleger mitunter das Nachsehen, wie der Fall aus Dortmund zeigt. Angesichts des dramatischen Personalmangels in Kliniken und Heimen eine zumindest fragwürdige Entwicklung – und aus Sicht des Betroffenen Torben Skaler sogar ziemlich brisant.
Am Anfang wollte der abgelehnte Pfleger für den Artikel auf FOCUS online mit seinem vollen Namen zur Verfügung stehen. Er stellte auch Fotos zur Verfügung. Später machte er aus Angst einen Rückzieher:
„Angesichts meiner Zukunft in diesem Beruf wäre es besser, wenn das anonym bleibt für mich. Das Risiko ist zu groß, danach vermutlich keinen Job mehr zu bekommen.“
Zumindest bis zum Sommer muss Skaler keine beruflichen Nachteile fürchten. Über eine Zeitarbeitsfirma hat er einen Job in einem Krankenhaus im östlichen Ruhrgebiet bekommen. Dort sind seine Qualitäten gefragt.
FOCUS-online-Schwerpunkt "Pflege in Deutschland"
Torben Skalers Beispiel zeigt, welche Probleme der Fachkräftemangel im Pflegebereich mit sich bringt, nicht nur für Patienten. Über diese und andere Herausforderungen berichtet FOCUS online im Schwerpunkt „Pflege in Deutschland“. Eine Woche lang zeigen wir persönliche Schicksale, strukturelle Probleme und Lösungen.
* Name von der Redaktion aus Schutzgründen geändert
Anzeige
In Kooperation mit FOCUS online: Kostenlose Online-Kurse für pflegende Angehörige
Zusammen mit unserem Partner Pflege ABC bieten wir pflegenden Angehörigen kostenlose Online-Kurse an, die umfassendes Wissen und praktische Tipps für den Pflegealltag vermitteln. Diese Kurse sind für gesetzlich Krankenversicherte gemäß §45 SGB XI zu 100 % kostenlos. Die Videokurse sind jederzeit und von überall abrufbar und werden von Experten unter anderem aus Medizin, Psychologie und Pflege erstellt, um pflegenden Angehörigen Sicherheit und Unterstützung zu bieten.