Zu "schwach" ?: Der Umgang von Männern mit "Naddel" macht mich wütend
Als Kind der Nullerjahre wusste ich kaum etwas über die öffentliche Figur „Naddel“. Ich kannte das Gesicht von Nadja Abd El Farrag zwar schon – irgendwo zwischen Talkshows und Werbepausen, zwischen "Taff" und "Exclusiv" lief sie ja immer.
Aber ihre tragische Geschichte – die der ewigen Ex von Dieter Bohlen, die einer hübschen aber in der öffentlichen Wahrnehmung sehr einfach gestrickten Frau, einer Frau, die offenbar in den 1990er-Jahren als Sex-Symbol galt, aber schon sehr früh mit Alkohol- und später auch mit massiven Geldproblemen zu kämpfen hatte, kannte ich bisher nicht.
Thomas Anders über Abd El Farrag „Sie war ein lieber Mensch, aber leider zu schwach“
Jetzt lese ich Nachrufe, sehe Zusammenschnitte ihrer Fernsehauftritte, höre Podcasts – und bleibe an einem Zitat hängen, das Thomas Anders, der Abd El Farrag lange kannte, jüngst in der „Bild“ über sie verlauten ließ: „Sie war ein lieber Mensch, aber leider zu schwach. Sie hatte leider kein Durchsetzungsvermögen und keine eigene Meinung, das war ihre Schwäche.“
Wie bitte? Erst vor einigen Tagen hat mir Patricia Riekel, ehemalige Chefredakteurin der „Bunten", die Abd El Farrag und ihrer Geschichte gut kennt, etwas ganz anderes erzählt: „Sie war eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe“, so Riekel über ihre erste Begegnung mit der damals 24-Jährigen. „Aber sie war auch lustig, selbstbewusst und sehr willensstark“. Ein ganz anderes Bild also, als das, was jahrzehntelang durch die Boulevard-Maschinerie gejagt wurde.
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Wie kann es eigentlich sein, dass Männer heute immer noch darüber urteilen dürfen, ob eine Frau „zu schwach“ ist? Dass sie ein ganzes Land offenbar noch immer „Naddel“ nennt, ein Spitzname, den Dieter Bohlen ihr offenbar bereits ganz am Anfang ihrer Karriere verpasste und der für mich eher nach einem verächtlichen Spitznamen für ein kleines Mädchen klingt, als ein liebevoller und respektvoller für eine erwachsene Frau.
Was damals normal war, wirkt heute wie ein gesellschaftliches Versagen
Ich bin mit anderen Selbstverständlichkeiten aufgewachsen. Mit MeToo, mit #aufschrei, mit dem Wissen um Machtmissbrauch. Ich bin mit dem Bewusstsein groß geworden, dass es nicht normal ist, wenn Chefs Grenzen überschreiten, wenn Frauen in der Öffentlichkeit sexualisiert, abgewertet oder zum Gespött gemacht werden. Dass man das benennen darf – und muss. Dass Schweigen kein Schutz ist, sondern Teil des Problems.
Viele Frauen in den 1990er und auch noch den Nullerjahren hatten diesen Rückhalt offensichtlich nicht. Sobald sie, wie Abd El Farrag, als psychisch instabil galten, war ihr öffentliches Bild vorgezeichnet.
Klar, auch heute ist noch lange nicht alles gut: Frauen müssen immer noch jeden Tag sowohl gegen ungleiche Bezahlung, sexistische Kommentare, unsichtbare Care-Arbeit als auch gegen Männer ankämpfen, die ihnen erklären wollen, wie sie zu fühlen, zu denken oder auszusehen haben.
Aber wenn ich sehe, wie mit Nadja Abd El Farrag umgegangen wurde – öffentlich und jahrzehntelang und das trotz ihres offensichtlichen Alkoholproblems, – dann wirkt das für mich wie aus einer anderen Welt. Wie konnte das mal normal sein? Dass Männer, wie Dieter Bohlen im Fernsehen und in ihrem Beisein Sätze sagten wie "Wenn man Naddel hat, braucht man keine Putzfrau" oder dass sie vor allem für eines gut gewesen sei: Sex.
Wie kann es sein, dass sie in Talkshows bewusst betrunken vorgeführt wurde und sich eine ganze Nation an ihrem Leid ergötzt hat? Warum wurde sie nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Krankheit gebucht? Der Journalist und langjährige mediale Begleiter von Abd El Farrag, Daniel Cremer, formulierte es jüngst in der "Berliner Zeitung" so: „Nadja hat dann funktioniert, wenn sie Fehler gemacht hat. Deshalb haben die Medien nicht nur über ihre Fehler geschrieben, sondern nach Fehlern gesucht.“
Ja, dieses Schicksal teilt sie auch mit Männern, die in Öffentlichkeit stehen. Und ja, sie war eine erwachsene Frau, sie musste das alles nicht tun.
Alte Muster, neue Bühne – Frauenhass ist wieder salonfähig
Aber Paparazzi stellten ihr Fallen, um kompromittierende Bilder zu bekommen. Bei Auftritten im Fernsehen bekam sie laut Cremer im Vorfeld Alkohol – zwei Flaschen vor jedem Auftritt. Auch im Dschungelcamp soll man ihr heimlich Wein gegeben haben, um das „bestmöglichst“ tragische und gleichzeitig lustigste Ergebnis zu bekommen. Je tiefer der Fall, desto besser die Quote.
Dass solche Mechanismen keineswegs der Vergangenheit angehören, sondern längst wieder auf dem Vormarsch sind, zeigt ein Blick in die USA: Mit Trump ist gerade einer der größten Frauenverächter unserer Zeit ins höchste Amt zurückgekehrt – ein Mann, der sich mit sexuellen Übergriffen brüstet und Frauen systematisch herabwürdigt. In seinem Windschatten werden konservative Frauenbilder wieder salonfähig gemacht, reproduktive Rechte eingeschränkt, feministische Errungenschaften zurückgedreht.
Und auch in Deutschland lässt sich eine beunruhigende Entwicklung beobachten: Die AfD fordert offen, Frauen wieder auf ihre Funktion als Gebärmaschine zu reduzieren. In den sozialen Medien feiern Millionen junger Männer die toxischen Männlichkeitsfantasien eines Andrew Tate – ein mehrfach angeklagter Influencer, der Frauen als Besitz und Sexobjekte darstellt.
Parallel dazu nehmen laut einer BKA-Studie von 2024 Straftaten gegen Frauen in allen Bereichen zu. Wer sich als Frau sichtbar macht, muss mit Hass rechnen.
Vielleicht ist es also kein Zufall, dass uns Nadjas Abd El Farrags Geschichte heute so berührt. Vielleicht erkennen wir in ihr, was wir zu verlieren haben – und was noch immer auf dem Spiel steht.