Eine Szene offenbart den ganzen Leidensweg der Nadja Abd El Farrag
Dieser Tod ist mir nahe gegangen. Und um ehrlich zu sein: Ich verstehe selbst nicht so ganz, warum er mich in dieser Woche so dauerhaft beschäftigt.
Nüchtern betrachtet, und schon dieses Wort ist schwierig, stirbt eine Frau, die zu viel Alkohol trinkt, im Alter von 60 Jahren an den bekannten und erwartbaren Folgen dieses übermäßigen Alkoholkonsums: Leberzirrhose, multiples Organversagen, Exitus. Zwei Millionen Menschen pro Jahr sterben weltweit an Lebererkrankungen. Nadja Abd el Farrag ist kein Einzelfall.
"Die Trash-Diva ließ sich nicht lange bitten"
Aber wer kennt schon Nadja Abd el Farrag? Sie war doch nur "Naddel". Auch ich habe über Naddel geschrieben. Und ich vermute, es war nichts Nettes. Das "Busenwiegen" fällt mir ein.
In der zu Recht vergessenen Sat.1-Sendung "Banzai" war dem Publikum die Frage gestellt worden, wie viel Naddels Busen wohl wiegt. Und wie hieß es damals so selbstverständlich: "Die Trash-Diva ließ sich nicht lange bitten."
Tatsächlich zog sich eine Art Galgenstrick um die linke Brust, während die zugehörige Frau sehr ernst in die Kameras blickte. Auf der Digitalanzeige der Waage war es dann nachzulesen: 1350 Gramm. Die Entrüstung über diesen Fernsehauftritt war erwartbar. Der Spott auch. Eigentlich müsse man doch nur Dieter Bohlen fragen: Der, haha, hat das Ganze ja bezahlt.
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"Naddel hat keinen Spaß hier!"
Im Rückblick bleibt das Lachen im Halse stecken. Dafür stellt sich das Organ ein paar Zentimeter darüber die Frage, was es mit einem Menschen macht, der sich so einer Öffentlichkeit präsentiert. Wie ist es, am Morgen nach der Ausstrahlung beim Bäcker zu stehen und, während die Brötchen in die Tüte gepackt werden, im Rücken zu hören: "1350." "Mehr als das Hirn." "Tittenwiegen." "Oberpeinlich." "Wie kann man nur?"
Nadja Abd el Farrag machte weiter. Auf "Banzai" folgt das "Dschungelcamp". Aufs „Dschungelcamp“ folgt „Big Brother“. Auf "Big Brother" folgt "Promi-Boxen". Dabei bezieht Naja Abd el Farrag heftige Prügel vom halb so alten "Zicken-Model" Tessa. "Naddel hat keinen Spaß hier", sagt die Kommentatorin schon in der zweiten Runde. Sie dreht ab, schüttelt den Kopf, der Ringrichter macht weiter.
"Typisch Mann", heißt es im Kommentar, "sie sagt nein, er überhört’s." Dazu lacht das Kommentatoren-Team. Das Publikum buht.
"Fernsehen gefährdet Ihre seelische Gesundheit!"
Wenn es eine Szene gibt, die bezeichnend ist für den Medienweg der Nadja Abd el Farrag, ist es ebendiese. Der Mann bestimmt. Die Frau bezieht Prügel. Am Ende wird sie ausgepfiffen und verachtet. Und das nur dafür, dass sie versucht hat, es allen recht zu machen. Das ist es, was diese Auftritte so doppelt und dreifach bitter macht.
Sicher unfreiwillig hat Nadja Abd el Farrag ein ganzes Berufsfeld erfunden. Sie war die wahrscheinlich allererste C-Prominente. Die erschaffen sich inzwischen fast pausenlos neu. Was haben wir allein in dieser Woche nicht schon alles an verfilmten Peinlichkeiten gesehen: In "Amore unter Palmen" verdeppen sich Maximaltätowierte.
Die Geiss-Frauen zelebrieren so etwas wie Wellness vor Kameras in "Davina & Shania – We Love Monaco". Im "Kampf der Realitystars" versendet sich ein Eifersuchtsdrama. Und auch in "Goodbye Deutschland" schauen wir Menschen lustvoll beim Scheitern zu.
Vielleicht sollte es Pflicht werden, dass sich Möchtegern-Promis noch einmal Nadja Abd el Farrags "Promiboxen" ansehen, bevor sie sich vor die Kameras wagen. Das ist der gefilmte Warnhinweis, ganz ähnlich wie die Schockbilder, die wir von den Zigarettenpackungen kennen: "Fernsehen gefährdet Ihre seelische Gesundheit."
Es bleibt ein rührender Wunsch
Vielleicht sollte das die Lebensleistung der Nadja Abd el Farrag sein, nicht die Begründung des Geschäftsmodells C-Prominenz. Sie hat uns allen vor Augen geführt, was Fernsehen mit Menschen machen kann.
Und der Mensch hinter Naddel sollte uns an eines immer wieder erinnern: Medienmenschen sind Menschen. Wirtschaftsmenschen sind Menschen. Politikmenschen sind Menschen. Ich weiß, das ist ein rührender, vielleicht rührseliger Wunsch. Aber wo, wenn nicht an einem offenen Grab, darf man sich dieses Gefühl gönnen.