Statt Grüne aus der Krise zu holen, steht Spitzenduo nun selbst unter Beobachtung

Seite an Seite sitzen Franziska Brantner und Felix Banaszak im Bundestag. Am Pult hält der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seit einer halben Stunde seine erste Regierungserklärung.

Die Grünen-Vorsitzenden verfolgen die Rede aus der zweiten Reihe. Bei Merz’ Ausführungen zur Außenpolitik applaudieren sie zaghaft, doch bei der Innenpolitik platzt Banaszak der Kragen. Lautstark ruft er etwas dazwischen, winkt ab, Brantner neben ihm lacht.

Es ist ein harmonisches Bild, das die beiden abgeben – und es steht im Kontrast zu dem, was über ihr Verhältnis zueinander in der Partei kolportiert wird. 

Von Vertrauensverlust ist da die Rede, von Streit und Flügelkämpfen. Die eigentlich noch jungen Parteivorsitzenden stehen bei den Grünen unter Beobachtung.

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"Ihr könnt viel von mir erwarten. Ich habe viel vor" Franziska Brantner nach ihrer Wahl zur Grünen-Vorsitzenden

Dabei ist es gerade einmal ein halbes Jahr her, dass Brantner und Banaszak auf dem Parteitag in Wiesbaden gewählt wurden. Nach dem überraschenden Rückzug von Ricarda Lang und Omid Nouripour sollten zwei frische Gesichter der Partei aus der Krise helfen. 

Die Grünen sollten „eine Kraft der Zuversicht“ sein, sagte Banaszak damals. „Ihr könnt viel von mir erwarten. Ich habe viel vor“, versprach Brantner.

Banaszak verfügt über größeres Rhetoriktalent, er vertritt den linken Flügel

Schon damals waren die beiden ein ungleiches Duo. Die 45-jährige Brantner gilt als ehrgeizig, fleißig und gut vernetzt im Realo-Flügel der Grünen, den sie lange koordiniert hat. Ihre Machtbasis ist vor allem der erfolgsverwöhnte Landesverband in Baden-Württemberg, zudem gilt sie als enge Vertraute von Robert Habeck, unter dem sie im Wirtschaftsministerium Parlamentarische Staatssekretärin war.

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Banaszak dagegen ist zehn Jahre jünger und hat erst in der Grünen Jugend und dann in Nordrhein-Westfalen Karriere gemacht. Mit 28 Jahren wurde er Landesvorsitzender des größten Landesverbands der Grünen, in den Bundestag kam er in der vergangenen Legislaturperiode. Banaszak verfügt über das größere rhetorische Talent und vertritt im Bundesvorstand den linken Flügel.

Flügelkämpfe nehmen wieder zu, vor allem beim Thema Migration

In der Vergangenheit spielten die Parteiflügel, die Programm und Personal mitbestimmen wollen, in der Grünen-Spitze eine eher nachgeordnete Rolle.

Die beiden Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, beides Realos, erklärten sie öffentlich gar für überwunden, und auch das Duo Ricarda Lang und Omid Nouripour funktionierte nicht stur nach Flügellogik. Nun ist man sich in der Partei einig: Es flügelt wieder in der Bundesgeschäftsstelle.

Besonders deutlich wurde das im Wahlkampf beim Umgang mit der Migration. Seit Jahren schwelt der Konflikt darüber bei den Grünen, auf Parteitagen gibt es darüber immer wieder hitzige Debatten, die am Ende notdürftig mit Formelkompromissen gekittet werden. 

Während der Realo-Flügel deutlich mehr Steuerung und Ordnung bei irregulärer Migration fordert, pochen Parteilinke auf Humanität und das individuelle Recht auf Asyl.

Im Wahlkampf bricht der Streit wieder auf, nachdem Friedrich Merz einen symbolischen Entschließungsantrag für strengere Asylregeln in den Bundestag einbringt, der mit Stimmen von Union, FDP und der AfD eine Mehrheit findet. 

Für die Grünen ist es ein historischer Tabubruch, gleichzeitig fürchtet Habeck, dass ihm mit der Union die einzige realistische Machtoption abhandenkommt.

Vertrauensbruch mit Habecks 10-Punkte-Plan

Wenige Tage später lanciert Habeck über die „Bild“-Zeitung einen eigenen 10-Punkte-Plan, der einen harten Ton anschlägt. Eine „Sicherheitsoffensive“ fordert der Kanzlerkandidat, zudem mehr Abschiebungen und psychische Untersuchungen von Asylsuchenden. Flankierend verbreitet Brantner, die den Plan maßgeblich mitformuliert haben soll, die Forderungen auf Instagram.

Es folgt ein Proteststurm in der Partei, drei Wochen vor der Wahl hagelt es interne Kritik. Hört man sich um, bekommt man unterschiedliche Darstellungen darüber, wer vorab vom 10-Punkte-Plan wusste und wer daran beteiligt war.

Das Vertrauen der beiden Vorsitzenden soll heute gestört sein

Sicher scheint: Banaszak, der an diesem Tag in seiner Duisburger Heimat Wahlkampf macht, wird von Brantners Post überrascht. Der Druck auf den Parteilinken ist groß. Am Ende muss Brantner ihren Post löschen, Habecks Plan wird in überarbeiteter Form einen Tag später veröffentlicht.

Der Vorfall ist inzwischen Wochen her, doch er hängt den Grünen nach. Das Vertrauen der beiden Vorsitzenden zueinander sei seitdem gestört, heißt es. Vor allem an Brantner gibt es fortan die Kritik, sie wolle Realo-Positionen durchdrücken. 

Auch Banaszak wird hinter vorgehaltener Hand kritisiert

Auch bei der Neuaufstellung der Fraktion habe sie versucht, Einfluss zu nehmen. Auf einem kleinen Parteitag sechs Wochen nach der Wahl muss sie sich auf der Bühne offene Kritik von der Grünen Jugend anhören.

Doch auch Banaszak wird hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Er kümmere sich mehr um seine eigene Profilierung als um die Programmatik der Grünen, die in der Opposition dringend erneuert werden müsste. 

Tatsächlich gibt es zwar interne Strukturdebatten, doch auch erfahrene Strategen in der Partei wundern sich, dass Banaszak und Brantner bislang keine Positionsaufschläge und auch keine gemeinsamen Gastbeiträge verfasst oder Interviews gegeben haben.

Dabei sind die beiden Grünen-Vorsitzenden durchaus präsent. In Talkshows sitzen sie aktuell häufiger als die beiden Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge, doch mehr Macht – da sind sich in der Partei eigentlich alle einig – haben dennoch die beiden erfahrenen Parlamentarierinnen. Nach der Ära Habeck-Baerbock scheinen sie diejenigen zu sein, die die Richtung vorgeben.

Doch Banaszak und Brantner haben Zeit. In diesem Jahr gibt es keine Landtagswahlen mehr, ihre Wiederwahl steht erst im Herbst 2026 an.

In Umfragen scheinen sich die Grünen stabilisiert zu haben, in der Opposition will die Partei wieder angreifen. Ob es gelingt, wird auch vom Zusammenspiel der beiden Parteivorsitzenden abhängen.

Von Felix Hackenbruch

Das Original zu diesem Beitrag "Sechs Monate an der Grünen-Spitze: Das Duo Brantner und Banaszak steht schon unter Beobachtung" stammt von Tagesspiegel.

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