Bernd Lange: „Alle haben gesagt: Was Trump tut, ist nicht akzeptabel“

Herr Lange, im Zollstreit nimmt US-Präsident Donald Trump überraschend den Druck raus. Statt der zuletzt angedrohten 145 Prozent Zoll auf Einfuhren aus China sollen es jetzt womöglich doch eher 55 bis 60 Prozent werden. Die Zölle gegen die EU und andere Länder liegen für 90 Tage sogar ganz auf Eis. Hat die EU-Kommission mit ihrem zweigeteilten Vorgehen aus der Androhung von Gegenzöllen und weiteren Gesprächsangeboten alles richtig gemacht? 

Jedenfalls ist angesichts der Zollankündigungen von Trump auch in den USA ordentlich Druck auf dem Kessel. Das zeigt die Entwicklung an den Börsen, bei US-Staatsanleihen, aber auch drohende Preiserhöhungen. Davon abgesehen lehrt die Erfahrung aus der ersten Amtszeit von Trump, dass man klare Kante zeigen muss. Dann gibt es auch die Bereitschaft zu verhandeln.  

Sind wir schon soweit?

Die Entwicklung hängt weiterhin von Trump und seinem Handelsberater Peter Navarro ab. Da stockt es noch, absurderweise zum Teil auch deshalb, weil in der US-Administration sehr viele Angst vor einem möglichen Bannstrahl von Donald Trump haben und sich deshalb nicht trauen, zu signalisieren, in welchen Bereichen man verhandeln könnte.

Aber immerhin hat sich die Situation seit Trumps Zoll-Ankündigung zuletzt etwas aufgehellt, oder?

Absolut, denn der Druck wächst. Das gilt nicht nur die Finanzmärkte. Auch unter den Republikanern und Gouverneuren der US-Bundesstaaten wächst die Ungeduld. Dazu kommen wachsende Sorgen um Inflation oder Lieferketten, denken Sie etwa an die Versorgung mit Elektronikprodukten wie Smartphones oder Halbleitern. Auch da ist Trump bereits zurückgerudert. Bei vielen setzt sich inzwischen die Erkenntnis durch, dass der ‚Liberation Day' kein Tag der Befreiung war, sondern einer der Inflation.

Sie waren vor wenigen Wochen in den USA. Wie ist die Stimmung bei den US-Unternehmen?

Eher verheerend. Durch die Bank haben alle gesagt: Was Trump tut, ist nicht akzeptabel. Selbst die Frage, ob es durch die Zölle zu mehr Investitionen in den USA kommt, ist sehr umstritten.

Weil?

Viele halten es zwar durchaus für möglich, dass sich durch eine US-Produktion Zölle umgehen ließen. Auf der anderen Seite ist Trump jedoch völlig unkalkulierbar. Das mögen Unternehmen gar nicht. Deshalb herrscht bei den meisten Unternehmensvertretern die Überzeugung vor, dass es die erhoffte Investitionsoffensive in den USA nicht geben wird.

Wegen der erratischen US-Politik steht auch Europa stärker im Spannungsfeld zwischen den USA und China. Muss Europa sich künftig wieder stärker Richtung Peking orientieren?

Jedenfalls ist klar, dass wir auch den Handel mit China brauchen, weil wir unseren Bedarf etwa bei Konsumgütern gar nicht selbst decken können.

Also mehr Pragmatismus im Umgang mit Peking?

Das wäre sicher sinnvoll. Peking will die Beziehungen zur EU ebenfalls verbessern. Das ist auch eine Chance.

Aber Europa ist doch gerade wieder stärker auf Distanz zu China gegangen, unter anderem auch wegen Menschenrechtsfragen oder Dumping-Preisen etwa bei Autos?

Mehr Pragmatismus heißt ja nicht, dass die vorhandenen Konflikte über Nacht weg sind. Von den gegenwärtig rund 200 aktuellen Anti-Dumping-Verfahren in der EU entfällt die Hälfte auf Produkte aus China.

Und jetzt hellt sich die Stimmung gegenüber China wieder auf?

Das ist mein Eindruck und das ist auch richtig so. Ich habe die Phobie gegenüber China nie verstanden. Wir wissen alle, dass das politische System Chinas teilweise sehr fragwürdig ist und auch, dass Peking mit dem Programm ‚Made in China 2025‘ weltweit die wirtschaftliche Hegemonie anstrebt, gerade in der Industrie. Dessen sollten wir uns stets bewusst, aber trotzdem auch nicht unpragmatisch sein. 

Also sollte die EU-Kommission die Verbindung zu Peking wieder stärker forcieren?

EU-Handelskommissar Maros Sefcovic war gerade in Peking und hat sehr ausführlich mit Handelsminister Wang gesprochen. Aktuell beobachten wir, dass China in bestimmten Bereichen, in denen Peking bislang geblockt hat, nun offener für Gespräche ist, etwa in der Frage von Überkapazitäten. Da gibt es inzwischen eine Charmeoffensive Pekings, die vor ein paar Monaten noch nicht absehbar war.

In vielen europäischen Branchen wie der Chemie-Industrie wächst allerdings die Sorge, dass China wegen der angedrohten US-Strafzölle seine Waren nun nach Europa umleiten könnte. Teilen Sie das?

Natürlich müssen wir hier genau hinschauen und sicherstellen, dass es ein Level-Playing-Field gibt…

…also gleiche Wettbewerbsbedingungen…

…damit es hier keine Dumping-Angebote gibt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele chinesische Produkte inzwischen durchaus wettbewerbsfähig sind, denken Sie nur an Elektroautos. Aber ja: Wir sehen das Risiko, dass es nun zu einer Umlenkung von Warenströmen Richtung Europa kommen könnte oder es Dumping-Angebote gibt wie etwa bei E-Autos oder Stahl-Produkten. Darauf haben wir reagiert und verfolgen die Entwicklung auch in anderen Branchen sehr genau. Das gilt für die Chemie-Industrie aber auch für den Maschinenbau oder andere Bereiche. Klar ist: Wenn wir faktenbasiert feststellen sollten, das in irgendeinem Sektor keine Wettbewerbsgleichheit mehr vorliegt, haben wir das Instrumentarium, um dagegen vorzugehen.

Eine Strategie, um auf diese Entwicklung zu reagieren, wären auch weitere Freihandelsabkommen. Die Verträge mit dem Mercosur sind auf der Zielgeraden. Indien gilt als weiterer Kandidat. Wer käme sonst noch in Frage?

Zunächst: Das geplante Freihandelsabkommen mit dem Mercosur steht kurz vor der Ratifizierung.

Aber Frankreich steht noch auf der Bremse?

Die juristische Prüfung ist so gut wie abgeschlossen. Jetzt muss das Regelwerk in die 24 Amtssprachen übersetzt werden, so dass es wahrscheinlich im September unterschrieben werden kann und dann zur Ratifizierung ins Parlament kommt. Bis Ende des Jahres oder Januar, Februar nächsten Jahres sollte das unter Dach und Fach sein. Aber ja: Frankreich wird wohl nicht zustimmen. Aber es reicht ja auch, wenn sie sich enthalten.

Also German Vote aus Paris?

Ja, (lacht). Und als nächstes dürfte dann ein Freihandelsabkommen mit Indonesien folgen. Gemessen an der Bevölkerung ist Indonesien das viertgrößte Land der Welt. Die Volkswirtschaft wächst rasant. Der IWF rechnet für dieses und das nächste Jahr mit einem Plus von über vier Prozent – trotz möglicher US-Zölle. Das ist ein hoch-attraktiver Markt

Bis wann rechnen Sie da mit einem Abkommen?

Die Gespräche mit Indonesien laufen bereits seit 2016. Aber angesichts der globalen Unsicherheiten könnte es jetzt sehr schnell gehen. Nach dem Willen des indonesischen Präsidenten sollen die Gespräche bis Juli abgeschlossen sein. Ich glaube ebenfalls, dass es noch in diesem Jahr klappt. Das ist mein heißer Tipp. 

Das klingt sehr ehrgeizig?

Durchaus, aber es sind jetzt fast wöchentlich Verhandlungen geplant und die wesentlichen Fragen sind bereits geklärt. Jetzt geht es nur noch um ein paar Details. Das sollte klappen. Außerdem ist auch das geplante Freihandelsabkommen mit Australien so gut wie fertig. Da waren noch ein paar Verhandlungen über ein paar tausend Tonnen zollfreies Rind- und Schaffleisch offen. In Australien stehen für den 3. Mai Parlamentswahlen an. Ich gehe davon aus, dass die jetzige Regierung dann bestätigt wird, und dann werden wir nochmal miteinander reden.

Also stehen im laufenden Jahr die Gespräche mit Indonesien und Australien vor dem Abschluss?

Genau, die müssen zwar alle noch ratifiziert werden, aber die Einigung ist in Sichtweite für dieses Jahr.

Und Indien?

Da bin ich nicht ganz so optimistisch wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die auf eine Einigung bis zum Jahresende hofft. Daran glaube ich wegen der Komplexität nicht. Außerdem ist die Souveränität der indischen Bundesstaaten deutlich höher als etwa die der deutschen Bundesländer. Da eine gemeinsame Haltung hinzukriegen, ist sehr komplex. Das wird sicherlich noch ein bisschen dauern.

Das würde bedeuten, dass wir zum Jahreswechsel sogar mit drei großen Märkten eine Einigung haben: Australien, Indonesien und Mercosur?

Genau, und die Modernisierung des Abkommens mit Mexiko haben wir ja auch fast fertig. Da geht es noch um ein paar Regelungen, die die europäische Agrarindustrie betrifft wie Käse und Wein.

Wir hätten nächstes Jahr also Freihandelsabkommen mit Volkswirtschaften, die doppelt so groß sind wie Europa?

Wenn man alles zusammenzählt, ja.

Damit winken europäischen Unternehmen im kommenden Jahr noch mal deutlich verbesserte Perspektiven im Handel?

Ja. Das verbessert außerdem auch noch die Rahmenbedingungen für Investitionen – und Europa wäre dann auch nicht mehr völlig abhängig von Willkürzöllen. Abgesehen von Trump finde ich da viele positive Momente.  

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