Spanien und der Solar-Verdacht: „Der erste Blackout der grünen Ära“
Meistgelesene Artikel der Woche
So sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht nur 81 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien kommen, sondern auch die Speicherkapazität von derzeit drei Gigawatt (GW) auf 20 GW steigen. Möglich machen sollen es gigantische Pumpspeicherkraftwerke - so zum Beispiel das Alcantara-Projekt, dessen Speicherkapazitäten 440 Megawatt umfassen werden.
Komplexe Systeme, komplexe Ursachen
Für Klima und Geldbeutel ist die steigende Nutzung Erneuerbarer Energien eine gute Nachricht, doch der rasche Wandel bringt auch Herausforderungen mit sich. Das offensichtlichste Problem: Die Erzeugung aus Solar und Wind ist wetterabhängig, die Kapazitäten müssen aufwändig gesteuert werden. Sonst kann es durchaus sein, dass etwa an sonnigen Tagen mit wenig Verbrauch zu viel Strom ins Netz gelangt – was potenziell zu einer Destabilisierung führen kann.
Dieses Problem ist den Spaniern jedoch durchaus bewusst; schon seit Jahren steuert die Energiebranche des Landes gegen, unter anderem durch den Einsatz von Batterien und Pumpspeichern. Große Mengen Solarenergie ist man im Land ohnehin gewohnt.
„Das Ausmaß des Stromausfalls legt nahe, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Menge der erneuerbaren Energien die Ursache war“, sagt Daniel Muir, Strommarktanalyst des Finanzdienstleisters S&P. „Denn das spanische Netz ist in der Regel mit sehr hohen Mengen dieser Art von Erzeugung konfrontiert." Tatsächlich waren erst wenige Tage vor dem Blackout wesentlich größere Mengen Solarstrom ins Netz eingespeist worden.
Der Netzbetreiber Red Eléctrica erklärte in einer Pressekonferenz, es hätten konkret zwei einzelne Ausfälle zu dem Blackout geführt. Der erste ereignete sich wohl im Südwesten des Landes, wahrscheinlich handelte es sich um einen plötzlichen Abfall an Solarstrom. Daraufhin folgte ein weiterer Leistungsabfall, der schließlich die wichtigen spanisch-französischen Grenzkuppelstellen unterbrach – wodurch das Stromnetz auf der iberischen Halbinsel kollabierte.
earth
FOCUS online Earth widmet sich der Klimakrise und ihrer Bewältigung.
Faktenzentriert. Fundiert. Konstruktiv. Jeden Freitag als Newsletter.
Rechtstext wird geladen...
„Wir müssen nun neue Lektionen lernen“
Als den möglicherweise „ersten Blackout der grünen Ära“ bezeichnete der spanische Energieexperte und Kolumnist Javier Blas den Stromausfall in einem Beitrag für die Nachrichtenagentur Bloomberg. Daraus sollte zwar keinesfalls ein Rückzug aus der Energiewende folgen, so Blas. Aber man müsse eben daraus lernen.
„Im Laufe eines ganzen Jahrhunderts, in dem unser Stromnetz mit fossilen Energien lief, haben wir viele Lektionen gelernt, warum und wann Blackouts passieren“, schrieb der Experte weiter. „Wir müssen nun neue Lektionen lernen, wann sie grüne Energie auslösen kann.“
Diese Lektionen, so Blas, müssen auf der ganzen Welt beachtet werden, nachdem die meisten Staaten sich mittlerweile der günstigeren und saubereren Wind- und Solarenergie zuwenden. „Die Behörden müssen sich darauf fokussieren, wie die wachsende Produktion aus erneuerbaren Quellen in das Netz integriert und die Resilienz gestärkt werden kann, statt sich aus der Produktion klimaneutraler Energie zurückzuziehen und sie wieder abzureißen.“ Als ein Blackout im Jahr 1977 weite Teile der Metropole New York City lahmlegte, habe man sich schließlich auch nicht von fossilen Energien und der Kernkraft verabschiedet, so Blas.
Der Trägheits-Faktor
Bestehende Kraftwerke, die mit Gas, Kohle, Wasserkraft oder Atomkraft betrieben werden, weisen eine wichtige Eigenschaft auf, die Solar- und Windstrom fehlt: Die sogenannte Trägheit. In klassischen Stromnetzen stammt die Trägheit von den rotierenden Massen großer Generatoren in den besagten Kraftwerken. Diese Generatoren drehen sich im Einklang mit der Netzfrequenz. Die dabei gespeicherte kinetische Energie wirkt wie ein Puffer bei plötzlichen Veränderungen im Stromnetz.
Die trägheitslosen Energieträger Solar und Wind machen jedoch einen Großteil des spanischen Netzes aus, was es wiederum anfälliger für Störungen macht, erklärt Miguel de Simón Martín, Professor für Elektroingenieurwissenschaften an der Universität in Léon. Dieses Problem zu lösen, so de Simón Martín, ist komplex: So könnte man die grenzüberschreitende Übertragungskapazität erhöhen – ein entsprechendes Projekt ist bereits in Arbeit und soll in zwei Jahren ans Netz gehen. Denkbar sind auch technische Lösungen, die die Trägheit großer Kraftwerke simulieren können.
„Schlussendlich werden auch der Einsatz von Speichern und die Entwicklung von unabhängigen Mikronetzen, die sich während eines Ausfalls selbst versorgen können, von wesentlicher Bedeutung sein“, fügt de Simón Martin hinzu. Damit könne man die Flexibilität und Resilienz der Netze erhöhen. Am wichtigsten, schreibt Blas in seiner Kolumne, sei jedoch ein Bewusstsein für die Problematik. Die spanischen Netzbetreiber hätten bereits im Februar vor den Herausforderungen für die Netze gewarnt – die Regierung in Madrid habe die Warnungen jedoch ignoriert.