Steigbügelhalter der CDU? „Dann“, so ein SPD-Wortführer, „sind wir endgültig im Arsch“

Im Berliner Regierungsviertel kursierte zuletzt schon ein konkreter Fahrplan. Sondierungen bis 11. März, danach Verhandlungen in Arbeitsgruppen bis 4. April, auf deren Grundlage zwei Wochen später ein Koalitionsvertrag stünde, ehe auf die parteiinternen Abstimmungen am 2. Mai die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler folgen sollte.

So weit ist es noch lang nicht. Das Papier stellte sich schnell als Fake heraus. Und die Stimmung zwischen Christ- und Sozialdemokraten ist – kurz bevor es richtig losgeht – von der Zuneigung zweier sich Versprochener weit entfernt.

"Merz will einfach nicht verstehen, dass wir darin einen Systembruch sehen, über den er nicht einfach so hinweggehen kann" Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner über das gemeinsame Abstimmen von Union und AfD

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Der Unmut über Merz, der in der SPD immer als rotes Tuch galt, geht sogar so weit, dass sich die Frage aufdrängt, ob der CDU-Chef der schwarz-roten Koalition den Boden entzieht, bevor es sie überhaupt gibt.

Das war eigentlich anders geplant. „Ab Sonntagabend keine negativen Worte gegen potenzielle Partner“, lautete etwa die Ansage in einer CDU-internen Chatgruppe wenige Tage vor der Bundestagswahl.

Die SPD kann schlecht vergessen, was Merz im Januar im Bundestag machte

Tatsächlich bemühte sich 28,5-Prozent-Wahlsieger Merz um nette Worte Richtung der Sozialdemokraten, als er etwa Lars Klingbeil öffentlich zum Fraktionsvorsitz „der stolzen SPD“ gratulierte. Und auch CSU-Chef Markus Söder lobte die Partei, die „aus ihrer Gründungsidee heraus schon immer Verantwortung übernommen hat, auch in schweren Zeiten“.

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Die Schmeicheleien gingen jedoch völlig unter im Vergleich zu dem, was sonst war. Erst einmal können die Genossen schlecht vergessen, was Ende Januar im Bundestag passierte, als Merz für eine migrationspolitische Mehrheit bewusst Stimmen der AfD in Kauf nahm.

Sein Umgang damit stößt auch dem SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner noch auf: „Merz will einfach nicht verstehen, dass wir darin einen Systembruch sehen, über den er nicht einfach so hinweggehen kann.“

SPD-General über Merz: „So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will“

Unter Sozialdemokraten wirkt auch die Wahlkampfabschlussveranstaltung des Kanzlerkandidaten am Samstag in München nach. Unionsleute können noch so oft behaupten, die von Merz erwähnten linken „Spinner“ hätten sich nur auf die radikalen Antifa-Störer vor der Tür bezogen.

In der SPD entstand der Eindruck, alle Demonstranten gegen das Merz-Manöver seien gemeint oder sogar alle, die links von Merz stehen. „So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will“, ließ SPD-Generalsekretär Matthias Miersch daher schon am Wahltag ausrichten, „so spricht ein Mini-Trump“.

Die Wut über Merz ist in der SPD größer denn je

Wer dann am Dienstagabend Juso-Chef Philipp Türmer mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im TV-Talk von Markus Lanz beobachtete, hatte größte Schwierigkeiten, sich ein harmonisches Regierungsmiteinander vorzustellen. Türmers Hinweis, die Koalitionsverhandlungen würden „kein Selbstläufer“, hätte es gar nicht bedurft.

Das Fass fast zum Überlaufen brachte in dieser Woche nun eine parlamentarische Anfrage der noch oppositionellen Unionsfraktion an die noch amtierende Bundesregierung, inwiefern mit Steuergeld geförderte Nichtregierungsorganisationen die jüngsten Demonstrationen gegen Merz und die CDU mitorganisiert hätten – insgesamt 511 Fragen, die die SPD empören.

Ausgerechnet jetzt, da an diesem Freitag die erste Spitzenrunde zwischen den beiden potenziellen Partnern stattfinden soll, ist die Wut über Merz in der SPD größer denn je. Partei- und Fraktionschef Klingbeil nannte die NGO-Anfrage ein „Foulspiel“. Die Union solle in sich gehen, „ob sie daran festhält“. Sonst, so die kaum verhohlene Drohung, kann aus seiner Sicht keine Koalition zustande kommen.

Auch Julia Klöckner, Alexander Dobrindt und Jens Spahn in SPD extrem unbeliebt

Das verbessert die Gesprächsatmosphäre in einer ohnehin schlechten Stimmungslage nicht. Die SPD ist nach dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1887 in einer psychologisch miserablen Situation. Klingbeil hat hohes Interesse an einer Regierungsbeteiligung, die aber schwer umzusetzen ist.

Nicht nur, dass in seiner Partei neben Merz auch Unionspolitiker wie Julia Klöckner, Alexander Dobrindt und Jens Spahn extrem unbeliebt sind. Zudem wird ein Koalitionsvertrag wie schon 2013 und 2018 von den Mitgliedern abgesegnet werden müssen, was wichtige Verhandlungserfolge bei der Entlastung von Familien oder dem Lohnniveau voraussetzt.

"Die Aufregung wird sich legen. Lars Klingbeil ist ein Vollprofi, und viele Sozialdemokraten, mit denen ich spreche, wissen sehr genau, dass wir gemeinsam wirklich große Aufgaben bewältigen müssen" Ein Mitglied der CDU-Parteiführung

Die SPD habe in ihrer Geschichte immer staatspolitische Verantwortung übernommen, argumentiert einer aus der Parteispitze: „Aber wir müssen aufpassen, dass wir unter Merz nicht unser Gesicht verlieren.“

„Dann“, sagt ein Spitzen-Mann in der SPD, „sind wir endgültig am Arsch“

Nichts sei gefährlicher, als das Image, „Steigbügelhalter“ der Union zu werden. „Dann“, sagt der Spitzen-Genosse, „sind wir endgültig am Arsch.“ Die Erinnerung daran, wie die SPD in früheren großen Koalitionen massiv an Profil verlor, ist wach.

Der SPD kommt zugute, dass Merz derjenige ist, der liefern muss. Er als Wahlsieger muss ein Regierungsbündnis schmieden. Nicht umsonst ahnen viele in der Union, „dass wir in den Koalitionsverhandlungen einen hohen Preis bezahlen müssen“, wie ein CDU-Abgeordneter sagt.

In der CDU ist man sicher: „Die Aufregung wird sich legen“

Leichten Herzens aber kann sich die SPD dem Regieren keinesfalls entziehen. Keine andere Koalition der Mitte hat eine „Kanzlermehrheit“. In der Union setzen sie darauf, dass die SPD weiß, warum dieses Bündnis zum Erfolg verdammt ist – auch weil das Grundgesetz hohe Hürden für Neuwahlen vorsieht.

„Das wird schon“ soll ein SPD-Abgeordneter einem Unionskollegen dieser Tage im Bundestag gesagt haben, wie dieser berichtet. „Die Aufregung wird sich legen“, prophezeit auch einer aus der CDU-Führung: „Klingbeil ist ein Vollprofi, und viele Sozialdemokraten, mit denen ich spreche, wissen sehr genau, dass wir gemeinsam wirklich große Aufgaben bewältigen müssen.“

Auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet? Schon werden auf beiden Seiten Was-wäre-wenn-Überlegungen angestellt, die SPD nur Boris Pistorius aufgestellt, die Union NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ins Rennen geschickt und der Bundestag nun vielleicht eine stabilere Mehrheit hätte.

„Ist Merz wirklich so brachial, so erzkonservativ, wie er sich gibt?“

So aber fragt sich ein Spitzengenosse, der immer für ein Regieren mit der Union geworben hat: „Ist Merz wirklich so brachial, so erzkonservativ, wie er sich gibt?“ Falls ja, könne das in Kombination mit einer sich gedemütigt sehenden SPD zum „Knall“ führen.

Die Irritation über den politischen Kleinkrieg der ersten Nachwahltage ist nicht auf die SPD beschränkt. Verwunderung herrscht auch bei manchen CDU-Leuten, wie ausgerechnet jetzt eine solche Anfrage gestellt werden konnte – angeblich weder in größerer Runde besprochen noch angekündigt. Es fallen Worte wie „ungeschickt“ und „überflüssig“.

Fragezeichen hat intern zudem das Hin und Her beim Thema Schuldenbremse ausgelöst: Dass Merz erst Offenheit für eine große Reform signalisierte und nach Intervention von Generalsekretär Linnemann doch nur ein zweckgebundenes Bundeswehr-Sondervermögen für möglich hält, lässt Zweifel an der professionellen Vorbereitung aufkommen.

Angeblich ist alles vorbereitet. In der Union, so heißt es, seien alle Verhandlungspapiere für die verschiedenen Themenbereiche fertig. „Wir“, sagt einer, „sind bereit.“

Von Karin Christmann, Daniel Friedrich Sturm, Christopher Ziedler

Das Original zu diesem Beitrag "Schwarz-roter Gesprächsauftakt schwer belastet" stammt von Tagesspiegel.

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