Griechische Medien über Merz-Kurs: „Was würde Wolfgang Schäuble sagen?“
Noch vor wenigen Tagen waren sich die Kommentatoren der griechischen Medien einig: Mit Friedrich Merz als designiertem zehntem deutschen Bundeskanzler übernehme ein Schüler des sparsamen Wolfgang Schäuble das Steuer der größten Volkswirtschaft Europas.
Umso überraschter reagierte man nun auf den drastischen Kurswechsel: Statt eiserner Haushaltsdisziplin setzt Merz auf Sondervermögen für Aufrüstung und Infrastruktur – ein Bruch mit seinen Wahlversprechen.
Einige Beobachter in Athen fühlen sich dadurch an die traditionelle Finanzpolitik griechischer Regierungen erinnert, insbesondere in Bezug auf Rüstungsausgaben. Manch einer sieht darin gar eine Ermutigung, selbst wieder höhere Schulden für militärische Investitionen in Kauf zu nehmen.
Griechische Wirtschaftsjournalisten begrüßen Sondervermögen
Die griechischen Medien zeichneten von Merz – anders als von seinem Vorgänger – das Bild eines Machers. Naturgemäß beobachten die Griechen die Entwicklung in Deutschland mit Sorge.
Denn wenn Europas größte Volkswirtschaft ins Straucheln gerät, drohen auch Griechenlands eigene Erfolge ins Leere zu laufen: Selbst glänzende Wirtschaftsdaten würden dann für die breite Bevölkerung kaum Wohlstandsgewinne oder eine reale Einkommenssteigerung bedeuten.
Dimitris Soultas brachte es am vergangenen Wochenende auf CNN Greece pointiert auf den Punkt: Deutschland sei „der große Kranke Europas“, der nun versuche, die europäischen Rhythmusstörungen zu „heilen“.
Damit verband er die Erwartung eines tiefgreifenden Politikwechsels – insbesondere eine Neuausrichtung der Verteidigungsdoktrin und ein Sonderbudget von 200 Milliarden Euro für die Aufrüstung. Trotzdem war Merz' Wahlsieg in seinen Augen ein Pyrrhussieg: Schon diese Summe allein sei eine gewaltige Belastung.
Neue Führung Berlins soll „mehrere Obsessionen aufgeben“
Besonderes Augenmerkt legte der griechische Journalist auf die Notwendigkeit eines Bruchs mit der Flüchtlingspolitik der Ära Merkel – ebenso auf eine „Neukonstitution“ des deutschen Staates, ausgerichtet auf neue Herausforderungen.
Doch dafür, so Soultas, müsse die neue Berliner Führung zunächst mit einigen Obsessionen aus der Vergangenheit brechen, „die vor 60 und 70 Jahren entstanden sind“.
Er äußerte zudem Besorgnis über den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und prophezeite den Bürgern den Abschied von lange als selbstverständlich geltenden Errungenschaften der Bundesrepublik.
Dass dazu auch gehört, bislang strikt verteidigte Haushaltsregeln zu kippen, konnte er sich nicht vorstellen. Umso bemerkenswerter erscheint nun, dass Deutschland die EU um eine Ausnahme von den Stabilitätskriterien gebeten hat – zumindest für Verteidigungsausgaben. Eine Forderung, die in der griechischen Politik schon lange erhoben wird.
Neues Sondervermögen für Griechen Wandel in Berlins harter Haltung
Im Jahr 2010 schlitterten die Griechen aufgrund ihrer astronomischen Verteidigungsausgaben, vor allem im Wettrüsten mit ihrem ungeliebten Erzfeind Türkei, in die Staatspleite.
Deutschland, geprägt vom strengen Finanzminister Schäuble – Merz' Mentor –, verweigerte den Griechen damals jegliche Zugeständnisse. Die kürzten daher im Sozialen und bei den Infrastrukturausgaben, um ihre teuren Streitkräfte weiter zu modernisieren.
Das neue Sondervermögen, erst recht in der kolportierten Höhe, markiert für die Griechen einen deutlichen Wandel in Berlins harter Haltung hinsichtlich Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung.
Die Einschätzungen der griechischen Medien zur Lockerung der deutschen Schuldenobergrenze gehen auseinander. Für Efi Triiri von der Wirtschaftszeitung „Naftemporiki“ hat Deutschland nun „entsichert“ und das Spiel sowohl in Deutschland als auch in Europa gewendet.
Sondervermögen als „Gamechanger“
Sie sieht im Sondervermögen einen „Gamechanger“ für die „anämische Wirtschaft Europas“. Mit den Merz-Milliarden würde Deutschland aus der Lethargie erwachen und als „Dampfmaschine“ der EU die europäische Wirtschaft im globalen Wettstreit wieder an die Spitze führen, so ihre Einschätzung.
„Deutschland hat im Zuge eines der größten politischen Umbrüche seit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 ‚die Bazooka rausgeholt‘“, urteilt die Wirtschaftsjournalistin. In ihrer Sichtweise ist Merz’ „whatever it takes“-Wende ein Rezept für militärischen und wirtschaftlichen Aufschwung.
Kein Wunder, entspricht Schuldenmachen doch dem beliebtesten Wirtschaftsrezept griechischer Regierungen und wird deshalb im öffentlichen Diskurs von rechts bis links weitgehend verteidigt.
„Abschließend sei darauf hingewiesen, dass dieser konkrete Schritt (Merz Sondervermögen) sowohl Deutschlands als auch der Europäischen Union vor allem eine Rechtfertigung für Griechenland darstellt, das aufgrund der Situation in den griechisch-türkischen Beziehungen jahrelang darauf bestand, die Verteidigungsausgaben aus dem Stabilitätspakt auszuschließen“, merkt wiederum Georgios Raftopoulos in einem Beitrag beim Internetmedium „Reporter“ an.
„Was würde Wolfgang Schäuble raten?“
Er erinnert daran, dass Merz’ Parteifreund von der EVP, der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis, seit Jahren in Brüssel für eine Ausnahme bei den Verteidigungsausgaben plädiert.
Scharf mit Merz ins Gericht geht dagegen Georgios Pappas von der griechischen Traditionszeitung „Ta Nea“. „Wenn Wolfgang Schäuble leben würde – was würde er Friedrich Merz raten?“, meint er.
Für Pappas hat Merz im Wahlkampf gegen besseres Wissen die Einhaltung der Schuldenbremse versprochen. Er weist in seinem Beitrag darauf hin, dass das Schäuble in einem seiner letzten Redebeiträge das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 thematisiert hatte.
Der „Herr der schwarzen Null“ habe angemahnt, dass dieses Urteil auch für die CDU/CSU gelten würde. Merz, der in seinem Nachruf Schäuble als „engsten Freund und Berater“ gelobt habe, würde vollkommen anders handeln als sein Vorbild. Pappas kommt zum Schluss, dass Merz, wenn er Schäuble konsequent in allem folgen würde, „den Populismus vermieden hätte.“