Essens Stadtdirektor ernüchtert: „Das Bürgergeldgesetz ist gescheitert“
Peter Renzel (CDU), Stadtdirektor und Geschäftsbereichsvorstand für Soziales, Arbeit und Gesundheit der Stadt Essen, hat sich für eine Reform des Bürgergeldgesetzes ausgesprochen.
In einem aktuellen Interview mit der „Welt“ sagte er, viele würden das Bürgergeld „als eine Art bedingungsloses Grundeinkommen wahrnehmen – als ob man für die Leistung kaum etwas tun müsse oder sich einfach damit zufriedengeben könne“.
Darüber hinaus arbeiten laut Renzel einige Leistungsempfänger schwarz. Das würde ihnen „zusätzliche finanzielle Sicherheit“ bescheren - „nur eben, ohne in die Sozialversicherung einzuzahlen“.
„Das Bürgergeldgesetz ist gescheitert“
Für den Essener Stadtdirektor steht fest: „Das Bürgergeldgesetz ist gescheitert.“ Und: „Das Ziel einer möglichst schnellen Arbeitsaufnahme muss konsequent verfolgt werden. Seit dem Inkrafttreten des Bürgergeldgesetzes zu Beginn des Jahres 2023 hat der Gesetzgeber den Grundsatz des Forderns vernachlässigt.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Renzel das Bürgergeldgesetz kritisiert. Im Oktober vergangenen Jahres hatte er ein Impulspapier zur Reform des Bürgergeldes in den Deutschen Städtetag eingebracht. Renzel will, dass sich etwas ändert. „Arbeit gehört wieder in den Mittelpunkt“, betonte er im Gespräch mit der „Welt“.
Wer Sozialleistungen bezieht, muss „im Rahmen seiner Möglichkeiten und seiner gesundheitlichen Verfassung – also wenn er oder sie kann – etwas fürs Gemeinwohl tun und damit der Solidargemeinschaft, allen Steuerzahlern etwas zurückgeben“, findet der Stadtdirektor.
„50 bis 60 Prozent der Bürgergeld-Empfänger in Essen haben Termine nicht wahrgenommen“
Seine Einstellung kommt nicht von ungefähr. Sie basiert auf den Erfahrungen, die er in Essen gesammelt hat. „Die fehlende Bereitschaft, sich anzustrengen eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufzunehmen, ist viel höher, als gemeinhin angenommen“, so Renzel, der auch für das kommunale Jobcenter zuständig ist.
„Im Jahr 2023 haben rund 50 bis 60 Prozent der Bürgergeld-Empfänger in Essen ihre Termine nicht wahrgenommen. Dann hat der Gesetzgeber nachgesteuert, heute liegen wir trotzdem noch bei 30 bis 40 Prozent.“
Viele Kunden würden nicht mitwirken, erklärte der Stadtdirektor der „Welt“. „Sei es, weil sie nicht erscheinen oder weil sie die Unterstützung, die wir ihnen anbieten, nicht annehmen, um eine Arbeit zu finden.“ Laut Renzel machen Kollegen bundesweit ähnliche Erfahrungen.
532.000 passend qualifizierte Arbeitskräfte fehlen
„Es vergeht keine Woche, ohne dass ich mit Arbeitgebern spreche, die mir sagen: 'Bei mir tauchen Bewerber auf, die entweder absichtlich so auftreten, dass ich sie gar nicht einstellen kann, oder die mir direkt sagen: Nein, angemeldet werden möchte ich nicht, weil das mir auf mein Bürgergeld angerechnet wird. Also lieber schwarz – und bitte nicht am Wochenende oder abends.'“
Das ist brisant: Gerade, weil viele Branchen mit eklatantem Personalmangel zu kämpfen haben. Beispiele sind die Gastronomie, das Gesundheitswesen und das Baugewerbe.
Aus Berechnungen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht hervor, dass zwischen Juli 2023 und Juni 2024 im Schnitt etwa 532.000 passend qualifizierte Arbeitsuchende fehlten.
Renzel findet: „Wir haben einen sehr großen Bedarf an Arbeits- und Fachkräften. Wir müssen in unserem Land alles daransetzen, dass wir die Potenziale der Bürgergeldempfänger heben und diese nutzen. Sofern sie gesund sind, dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen, dass sie sich verweigern.“
Renzlen schlägt Leistungskürzungen für Verweigerer vor
Er hat auch ganz konkrete Vorschläge, wie sich das durchsetzen ließe. Auf der einen Seite spricht er die Kürzung des Bürgergelds an - für diejenigen, die ihre Lage nicht verbessern wollen, also keine gesundheitlichen Einschränkungen oder ähnliches haben.
Leistungskürzungen sind seiner Ansicht nach aber nur in bestimmten Bereichen sinnvoll. In Bezug auf die Kosten der Unterkunft, in der die jeweiligen Bürgergeld-Empfänger leben, hält Renzel sie zum Beispiel für tabu.
„Denn in diesem Bereich könnte das zu einem Wohnraumverlust oder besser gesagt Wohnungslosigkeit führen, und das wollen wir ausdrücklich nicht. Leistungskürzungen können somit beim Lebensunterhalt erfolgen, also im Bereich des sogenannten Regelsatzes, der alle Ausgaben außerhalb der Wohnkosten abdeckt.“
Bürgergeld-Empfänger sollen etwas fürs Gemeinwohl tun
Wichtig findet der Stadtdirektor außerdem regelmäßige ärztliche Kontrollen - bei denjenigen Bürgergeld-Empfängern, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht arbeiten können.
„Es geht darum festzustellen, ob sich der gesundheitliche Zustand des Leistungsbeziehers verbessert hat, sei es durch den Genesungsprozess nach einer Erkrankung oder weil eine psychische Krankheit in den Griff bekommen wurde, also ob sie oder er wieder erwerbsfähig ist“, sagte er der „Welt“.
„Mein Ziel ist, dass ein 35-jähriger, der als nicht erwerbsfähig eingestuft wurde und Sozialhilfe bezieht, nicht automatisch für die nächsten 30 Jahre in diesem System verbleibt.“
Diejenigen, die keinem sozialversicherungspflichtigen Job nachgehen und weiterhin Bürgergeld beziehen, sollen laut Renzel zum Gemeinwohl beitragen - also etwa durch gemeinnützige Einsätze in Sport- und Parkanlagen oder Hilfe bei der Sauberkeit in den Stadtteilen.
sca