Türkei-Experte: „Der Zorn gegen Öcalan ist weiterhin groß“

Herr Aydin, der Gründer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, hat zur Auflösung der Bewegung aufgerufen. Öcalan sitzt seit 1999 im Gefängnis. Wird sein Aufruf Gehör finden?

Öcalans Einfluss ist nicht allzu stark, schließlich sitzt er seit über 20 Jahren im Gefängnis. Wir werden nun den weiteren Prozess abwarten und daran erkennen, ob Öcalans Anhänger seinem Aufruf folgen.

Was spricht dafür?

Vor allem die Erkenntnis, dass der Kampf gegen das türkische Militär aussichtslos ist. Im Jahr 2015 haben die Kurden das Momentum verpasst, einen eigenen Staat aufzubauen. Außerdem ist die PKK nach Jahrzehnten des Kampfes sehr geschwächt. Und in Nachbarländern, etwa Syrien, gibt es nach dem Machtumsturz auch keine Unterstützung mehr für die Kurden.

Werden kurdische Politiker sich wieder frei betätigen dürfen?

Gibt es auch Hinweise, die auf einen andauernden Konflikt deuten?

Ja. Denn in der Türkei von Recep Tayyip Erdogan gibt es weiterhin keine Anzeichen für Demokratie. Die Kurden im Südosten wissen nicht, was sie von der Türkei im Gegenzug für Frieden erhalten. Werden Sie eine eigene Amtssprache bekommen? Werden kurdische Politiker sich wieder frei betätigen dürfen? Das ist derzeit alles noch mehr als unklar.

Wird Öcalan nach seinem Aufruf nun freigelassen?

Davon gehe ich nicht aus. Die Kämpfe der PKK haben schließlich rund 45.000 Menschen das Leben gekostet. Der Zorn gegen Öcalan ist weiterhin groß. Aus sicherheitspolitischer Perspektive wäre es also riskant, Öcalan zeitnah zu entlassen.

Wer wird nun die Kurden vertreten?

Das wird sich zeigen. Sicherlich wird die türkische Linke sich den Kurden annehmen. Aber klar ist auch: Ein Teil der Kurden wird Öcalan nicht Folge leisten und möglicherweise die Kämpfe in anderen Organisationen fortführen.

25 Prozent der Kurden mit Erdogan verfeindet

Wie steht es nun um das Verhältnis zwischen Erdogan und den Kurden?

Das Verhältnis zwischen einem Teil der Kurden und Erdogan ist zerrüttet. Die eher konservativen Kurden sind jedoch auf Erdogans Linie. Der andere Teil – und das sind etwa 25 Prozent der Kurden – sind mit Erdogan tief verfeindet. Da handelt es sich um jene Kurden, die für eine demokratische Türkei und stärker für die kurdische Identität sind.

Es wird spekuliert, dass Erdogan auf eine vierte Amtszeit setzt. Dazu müsste die Verfassung geändert werden. Wie wichtig sind dabei die Kurden für Erdogans Machterhalt?

Erdogan wird alles daransetzen, die Verfassung zu ändern. Das kann er entweder durch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament oder durch einen Referendum zur Verfassungsänderung erreichen. Für beides braucht er die Unterstützung der Kurden.

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