Mia San Meister: Aus zwei Gründen ist diese Bayern-Meisterschaft kein Titel wie viele andere
Wäre die Fußball-Bundesliga ein Theaterstück, dann doch dieses: die klassische Dramaturgie eines Vereins, der seiner Dominanz irgendwann überdrüssig wird, ins Stolpern gerät und jetzt, mit dem alten Fahrensmann als Symbolfigur der jahrelangen Dynastie, beinahe trotzig zurück auf seinen Thron steigt. FC Bayern München, Deutscher Meister 2024/25.
Von 2013 bis 2023 hatte Bayern die Liga erdrückt, was bewundernswert war und auch recht fad. Leverkusens Sensation in der Vorsaison bildete einen dringend benötigten Bruch der Münchner Monotonie, scheint aber ein Intermezzo gewesen zu sein. Das rote Imperium schlug zurück. Weil es konnte. Und, Obacht: Weil es musste. Es ist Bayerns 34. Meisterschaft.
Was heißt das nun, speziell im Zeitalter einer globalisierten Fußballindustrie, deren Wert sich kaum noch an nationalen Titeln bemisst?
Bayern-Meisterschaft zu wenig? „Ganz wenig Ahnung vom Fußball“
Ex-Bayern-Star Stefan Effenberg liefert bei „t-online“ eine klare Überzeugung: „Ich finde es despektierlich, wenn gesagt wird, die Bayern würden ‚nur‘ die Meisterschaft holen. Warum denn ‚nur‘? Das ist kein Erfolg, der erwartbar ist. Eine Saison mit einem Titel als Enttäuschung zu bewerten – wer das sagt, hat ganz wenig Ahnung vom Fußball.“
Tatsächlich war im Premierenjahr von Bayern-Trainer Vincent Kompany viel dabei, was diesen Titel auszeichnet: die mit weitem Abstand meisten Tore (93), die wenigsten Gegentore (32), bisher 78 Punkte und oft Spektakel, 6:1 in Kiel, 5:0 in Bremen, 5:1 gegen Leipzig, 5:0 in Bochum, 5:0 gegen Hoffenheim, 4:0 gegen Stuttgart und Frankfurt sowie in Heidenheim.
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Das berauschende 3:3 in Frankfurt war das vielleicht beste Bundesligaspiel der Saison, das 3:3 am Samstag in Leipzig vermutlich das irrwitzigste. Von Leverkusen trennte sich Bayern 1:1 (mit Pech) und 0:0 (mit viel Glück), von Dortmund 1:1 und 2:2. Niederlagen setzte es lediglich zwei, 1:2 in Mainz und 2:3 gegen Bochum.
Müller macht Kompany ein Kompliment, das größer kaum sein könnte
Unter der Regie des angenehm verbindlichen, wohltuend besonnenen Kompany, 39, hat der FC Bayern eine Entwicklung erlebt, obgleich die radikale Offensivdoktrin im Herbst zu ebenso radikalen Debatten führte – und die Ergebnisse in den Pokalwettbewerben am Ende enttäuschten (DFB-Pokal-Aus im Achtelfinale gegen Leverkusen, Champions-League-Aus im Viertelfinale gegen Inter Mailand).
Trotzdem hat sich Kompany nachhaltig bewiesen, auch als Typ. „Seit Pep Guardiola hatte es in der Kombination zwischen Trainer und Mannschaft nicht mehr richtig ‚Klick‘ gemacht“, sagte Thomas Müller kürzlich auf der Bundesliga-Website. Müller benannte „verschiedene Übergangsphasen“ nach Guardiola, der 2016 ging, es folgten Carlo Ancelotti, Jupp Heynckes, Niko Kovac, Hansi Flick, Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel, nun Kompany. „Dieses komplett harmonische Bild, das wir diese Saison wieder gesehen haben, diese Einheit zwischen Trainer, Mannschaft und Verein – das war nie so richtig da", betonte Müller.
Größer hätte das Lob für Kompany kaum ausfallen können. Zumal Müller weder im Verdacht steht, besonders vom Belgier profitiert zu haben, noch eine persönliche Agenda zu verfolgen – er ist schließlich bald weg.
Müller verleiht Bayern-Meisterschaft eine melancholische Note
Ohnehin verleiht Müllers Abschied dieser Meisterschaft eine sehr eigene, gar melancholische Note. Einen Spieler wie ihn wird’s nie wieder geben, bei Bayern ist er (neben Manuel Neuer, aber auf ganz andere Weise) der letzte Vertreter der alten Fußballzeit. Als Müller 2000 in den Club eintrat, war Effenberg der Kapitän, und als Müller später Profi wurde, hatte Oliver Kahn gerade aufgehört. George W. Bush war US-Präsident, das Smartphone angeblich im Kommen, der Euro erst sechs Jahre da. Episoden aus einer fernen Galaxie.
Müllers – unfreiwilliger – Exodus begleitet und prägt den FC Bayern. Seit der Beschluss offiziell wurde, haben sich Menschen erhoben, wenn Müller von der Ersatzbank aufstand, sie haben sich erhoben, wenn Müller zum Warmlaufen trabte, vor allem haben sie sich erhoben und nicht aufgehört zu johlen, wenn die Legende Müller den Rasen betrat in einem seiner 750 oder 7500 Pflichtspiele für Bayern. „Die positive Energie, die ich in den Wochen seit der Verkündung spüre, ist enorm. Das bedeutet mir sehr viel", schrieb er in seinem Newsletter.
Von den 34 Bayern-Meisterschaften war Müller an 13 beteiligt. Allein der allzu klischeehaften Kitsch bleibt ihm verwehrt: Wenn am 31. Mai in der Münchner Arena der Champions-League-Sieger ermittelt wird, sind der FC Bayern und Thomas Müller bloß Zaungäste.